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Drei Handlungen für Vielfalt

Während Sender und Streamerdienste, Produktionsfirmen und Filmförderungen verschiedene Maßnahmen für mehr Vielfalt unternehmen, zeigen eine zunehmende Anzahl von Studien, in was für einer Schieflage die Medienbranche weiterhin steckt. Frauen sind immer noch vor wie hinter der Kamera unterrepräsentiert. Homo- und bisexuelle Figuren, wie auch die mit Migrationsbiografien und BPoC sind seltener im Fernsehen zu finden als auf der Straße, BeHinderung ist nahezu unsichtbar. Diskriminierungserfahrungen sind in der Branche so häufig wie in der Gesellschaft.

Ich würde ja so gern, aber es geht nicht! Leider reicht das Budget nicht. Wir finden niemanden. Schon gar nicht mit der richtigen Qualifikation. Die qualifizierten Leute bleiben nach der Ausbildung nicht. Das sind Sätze, die wir in unseren Workshops öfters hören. Denn das Problem ist strukturell und kann entsprechend nur auf dieser Ebene gelöst werden. Das bedeutet: Es wird nicht mehr Repräsentation von marginalisierten Gruppen in den Medien geben und auch kein Ende der Diskriminierungserfahrungen in der Branche, ohne dass die gewachsenen Strukturen überdacht und verändert werden.  Unserer Meinung nach braucht es drei tiefgreifende Veränderungen, damit die Medienbranche wirklich gerechter und inklusiver wird.

Wir brauchen barrierefreie Zugänge zu den Ressourcen

Wir müssen uns dem Abbau von Barrieren vor allem in Ausbildungseinrichtungen widmen. Alle Menschen, die möchten, sollten Teil der professionellen Film- und Fernsehbranche werden können. Was auch im Sinne der Branche und des aktuellen Fachkräftemangels wahrlich ein Interesse aller sein müsste. Aber wie?

Zuerst braucht es die Fähigkeit, die Prozesse der Institutionen nicht als Naturgesetze zu sehen. Was in den Richtlinien der Filmförderungen, was in den Unis institutionalisiert wurde, was sich bei den Sendern in der Formatentwicklung an Prozessen eingeschliffen hat, ist menschengemacht. Wir können dies ändern, den Bedürfnissen unserer Gesellschaft anpassen. Dann braucht es den Dialog mit Aktivist:innen, Expert:innen und Verbänden. Gemeinsam mit ihnen sollten die Prozesse dieser Institutionen unter die Lupe genommen werden, damit im Dialog neue Prozesse kreiert werden, die in der Vielfalt und den Differenzen von Menschen eine Chance für Wachstum sieht. Und gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass Menschen aus marginalisierten Gruppen sich überhaupt eingeladen fühlen, in der Branche mitzuwirken. Es bedarf seitens der Menschen, die beruflich etabliert sind, eine machtkritische Reflektion über die eigenen Chancen und ein aufrichtiges Interesse, mehr Perspektiven in die Arbeit einzubinden. Eine erste Möglichkeit, diese Einladungen auszusprechen, ist, Tandems und Mentor:innenschaften zu bilden.

Wir brauchen diskriminierungsfreie Arbeitsräume

Hast du einen, juckt es ein bisschen, aber es ist auch bald vorbei. Hast du viele, drehst du durch. Diskriminierung, die keine blanke körperliche oder verbale Gewalt ist, die auch von denen kommen kann, die es “nur” gut meinen, sind wie Mückenstiche.

Die gesamte Branche muss dafür sensibilisiert werden, dass wir ein diskriminierendes Verhalten in die Wiege gelegt bekommen haben. Dafür können wir nichts. Aber wir tragen Verantwortung für die Diskriminierung, die wir – auch ohne Absicht -reproduzieren. Es erfordert viel Mühe und Umsicht, aus der eigenen Perspektive zu treten, um sich über die Gefühle und die Situation diskriminierter Menschen im Klaren zu werden. Je mehr Privilegien wir genießen, umso schwieriger ist dieser Prozess.

Wenn Menschen aus unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppen in großer Zahl Zugang in die Medienbranche finden, ist es daher ein Muss, dass wir alle lernen, die eigene Position zu reflektieren. wir müssen lernen, Teil eines Raums zu werden, die für alle sicher ist.

Wo bin ich privilegiert? Was prägt meine Perspektive auf die Welt? Und vor allem: Wie kann ich sie erweitern? Das sind Fragen aus Sensibilisierungsworkshops, die den Stein ins Rollen bringen. Perspektivisch ist wichtig, dass Teams gemeinsam diesen Weg in vertiefenden Workshops und Prozessbegleitungen beschreiten. Eine große Errungenschaft in diesen Tagen sind die Intimacy Coachings, die endlich Eingang in die Branche gefunden haben. Es gibt bereits erste sogenannte Diversitätsbeauftragte für Produktionen. In naher Zukunft brauchen wir Trainer:innen und Coaches, die den Prozess der Inklusion, Antidiskriminierung und Gleichstellung in den Teams begleitet, damit Diskriminierung keinen Alltag mehr am Arbeitsplatz ist. Auch das Beifügen eines Werte- und Verhaltenskodex an Verträge ist ein erster Schritt für das Etablieren eines Dialogs in Bezug auf das Thema. In dieser Zwischenzeit sollen Menschen aus marginalisierten Gruppen Räumen zum Austausch ihrer Erfahrungen bekommen.

Wir brauchen neue, inklusive Narrativen

Andere Perspektiven in den kreativen Prozess mit einzubeziehen, bedeutet, neue Erzählperspektiven einzunehmen und neue Narrative zu erkunden, jenseits von Wendepunkten und Midpoints, jenseits von Held:innen, die sich verändern müssen, um zu bestehen. Das ist die Kernarbeit des Büros für vielfältiges Erzählen.

Was sind Dos und Don’ts? Wie kann ich Stereotype erkennen? Wie kann ich anders, besser, einer Geschichte inklusiver erzählen? Leitlinien, Regel, Listen und Instrumente sind wichtig, aber sie sind nicht alles. Es braucht eine bewusste Haltung, um diese überhaupt nutzen zu können. Wir haben zwei Instrumente für die Arbeit mit vielfältigen Stoffen entwickelt. 

Mit der diversitätskritischen Analyse und den dazugehörigen Report erspüren wir die Potenziale für mehr Vielfalt und deren Authentizität in den untersuchten Stoffen. Für den kreativen Prozess haben wir ein dramaturgisches Modell zum Konzipieren und Erzählen von Figuren aus marginalisierten Gruppen entwickelt: Das Begehren der Anderen*. Das Modell hilft, jenseits von Stereotypen, Klischees und Essentialisierungen bei der Stoffentwicklung zu denken. Sich von veralteten Denkmustern zu befreien. Und etablierte Formen des Erzählens zu hinterfragen und zu sprengen. Das ist unserer Meinung nach die absolute kreative Freiheit.

Übrigens: Wir wissen, dass diese Veränderungen nicht über Nacht passieren und dass dafür auch Geld notwendig ist. Es braucht Geduld, es braucht eine Überprüfung der Budgets. Aber es braucht vor allem Mut, bekannte Produktionsabläufe zu verlassen und Neues zu wagen.

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