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Kreativ frei

Notation von Sylvano Bussoti (1980): XIV piano pieces for David Tudor 4.

Bei unserer Arbeit begegnen uns immer wieder viele Ängste und Unsicherheiten. Wir sagen dann: Das ist gut, umarme sie! Wenn wir unsicher sind, dann bedeutet das, dass die Perspektive sich öffnet und das ist ein gutes Zeichen, wenn es um Fragen der Diversität geht. Wir empfehlen an dieser Stelle immer den Dialog. Sich nicht allein auf den Weg zu machen, sondern sowohl als betroffene als auch als privilegierte Person, im Sichtbarmachen und Erfreuen von Differenzen zu wachsen.

Aber es gibt, gerade bei Autor:innen, ein Argument gegen Diversität, das wir immer wieder hören und das uns ziemlich bedenklich stimmt. Und da helfen unsere Worte von Dialog und Empathie recht wenig: Es ist die Rede von der Beschränkung der künstlerischen Freiheit. Die Förderungen scheuen sich vor Quoten, um die Freiheit nicht einzuschränken. Auf förderpolitischer Ebene wird viel über Diversität gesprochen, „aber nur, solange die kreative Freiheit nicht beschnitten wird“. Es wird getuschelt und gewispert, mal öffentliche Maßnahmen angekündigt und nichts getan. Die Angst von Autor:innen, dass fehlende Diversität das Argument gegen einen guten Stoff sein kann, ist verbreitet. Wo wir hier aber genau hinschauen müssen, liegt auf der Hand: Die Machtstrukturen.

Denn in der deutschen Förder- und Finanzierungswelt für Filme und Serien sind es nicht nur die Autor:innen, die Geschichten erzählen. Die Erfahrungen der Kreativen sprechen Bände: Viele deutsche Institutionen und ihre Mitarbeiter:innen, die Geld geben, wollen nicht nur kuratorisch tätig sein, sondern selbst kreativ sein. Fehlende oder falsche Diversität wird dann zu einem mächtigen Argument, um in die Arbeit der Autor:innen einzugreifen. Und wenn ein Konflikt über kreative Entscheidungen auf dem Rücken von Diversität ausgetragen wird, bekommt das ganze einen gefährlichen Beigeschmack. Denn dann muss man sich wieder fragen: Wer wird am Ende den Kürzeren ziehen? Mit ziemlicher Sicherheit sind es am Ende die Geschichten von Figuren aus unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppen.

Deshalb sind mir folgende Fragen in dieser Diskussion auch so wichtig.
Zum einen: Wessen künstlerische Freiheit wird hier denn eigentlich beschränkt? Doch nur die derer, die eh schon mitspielen können und dürfen. Alle anderen haben nämlich gar nicht die Möglichkeit kreativ zu arbeiten und entsprechende Plattformen für ihre Werke zu bekommen, weil ihnen die Zugänge zu den Hochschulen, Netzwerken, Sendern, Förderungen verwehrt bleiben. Die Energie der Kreative-Freiheitsdebatte sollte lieber in die Schaffung von Zugängen in die Branche und dem Abbau von Barrieren fließen!

Zum andern: Wollen wir in einer Welt leben, in der immer und immer wieder dieselben Geschichten erzählt werden dürfen und das im Namen der kreativen Freiheit? Ist Diversität nicht geradezu eine unendliche Quelle für ganz neue Geschichten und Narrative? Warum sehen Kreative den Ruf nach mehr Perspektiven, mehr Repräsentation in den Medien als Angriff und nicht als Anlass, um sich endlich aufzumachen den Blick zu erweitern und sich kritisch der Frage zu stellen: Was ist es, dass dich wirklich davon abhält mehr Perspektiven und mehr Repräsentation in deinen Geschichten aufzunehmen? Denn alle die, die sich weigern über mehr Repräsentation zu sprechen, verweigern auch ihren Anteil der Verantwortung, die wir alle tragen, um die Gesellschaft und auch die Medienbranche inklusiver und damit gerechter zu gestalten.

Kreative Freiheit. Ich möchte in diesem Artikel gar nicht das Tor zum weiten Feld der Frage nach „Wie frei sind wir eigentlich in unserem Denken und Handeln?“ öffnen. Aber im Bereich der Antidiskriminierungsarbeit sind die Erforschung unserer Unbewussten Vorurteile, unserer Unconscious Bias ein wichtiges Feld. Wir dürfen nie vergessen, wie sehr unser aller Denken und Handeln von den tradierten Sexismen, Rassismen, Queerfeindlichkeiten und anderen diskriminierenden Strukturen geprägt sind. Wir müssen uns das bewusst machen und uns nicht nur sensibilisieren, sondern Verantwortung übernehmen, in dem wir uns, ohne in Schuldgefühlen zu verfangen und zu verharren, auf den Weg machen echte Verbündete zu werden. Und dann haben wir die Chance etwas besonderes zu machen:

Indem wir uns die eigene Verantwortung bewusst machen, können wir uns selbst die würdige Repräsentation als einen Akt der Verbundenheit und der Anerkennung dieser diskriminierenden Gesellschaft als kreative Beschränkung auferlegen. Denn, an sich sind kreative Beschränkungen etwas Positives. Robert McKee lässt sich sogar dazu hinreißen zu sagen: „Beschränkung ist lebenswichtig“, wenn er über die Struktur-Setting-Beziehung spricht. Aber immer nur dann, wenn Künstler:innen sich diese selbst auferlegen. Das tun sie nämlich schon immer. Kreative Beschränkung ist schon seitdem Menschen Kunst machen ein Antrieb. Wer hat sich und warum den Jambus ausgedacht? Den verfluchten Anapäst? Warum geht es immer noch um die vierte Wand im Theater und Film; überall Beschränkungen, sei es das Versmaß, die Dreiakt- oder 15Beat-Struktur und auch die Genrekonventionen.

Ich möchte, dass in Zukunft im Zusammenhang mit Diversität nur dann von Beschränkungen gesprochen wird, wenn der Motor dafür das Übernehmen der Verantwortung von privilegierteren Autor:innen steht. Alle anderen Diskussionen befeuern hintenrum unter dem Deckmäntelchen des wichtigen Gutes der Kreativen Freiheit am Ende nur weiter das traditionsreiche, diskriminierende, unterdrückerische System unserer Gesellschaft und zeugt von keinem Funken Wille und Verstand für eine inklusivere Branche. Los jetzt! Es ist schon echt viel Zeit vergangen. Ich bin ungeduldig. Ich möchte es noch erleben, dass wir gar nicht mehr darüber sprechen müssen, weil sich die Gesellschaft verändert hat und alle Menschen gleiche Zugänge haben und alle Menschen auch alle Geschichten erzählen können.

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