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Identifikationspotential Mustache

(c) Screenshot aus Serie „Never Have I Ever“, https://www.youtube.com/watch?v=ZyPELpt8Lig

Ben: „You shouldn’t wear so much makeup. It’ll collect on your mustache.”
Devi: „At least I can grow a mustache.”

Die Serie von Mindy Kaling und Lang Fisher für Netflix, „Never Have I Ever“, erzählt die Geschichte der 15-jährigen indisch-amerikanischen Streberin Devi, die ein hartes Jahr hinter sich hat. Ihr Vater stirbt während eines Konzerts in der Schule, bei dem Devi ein Harfensolo spielt. Traumatisiert landet sie für einige Monate im Rollstuhl und kann erst aufstehen, als sie ihrem Impuls nachgibt, dem Schwimmer und Sonnyboy Paxton Hall-Yoshida hinterher zu laufen. Aber nun beginnt das zweite Jahr in der High School und Devi möchte mit ihren zwei besten Freundinnen cooler und beliebter werden. Devi will die neue (indische) Kardashian werden. Und sie will Sex mit Paxton! Für dieses Ziel opfert sie (fast) alles.

Noch nie in meinem Leben „…habe ich mich besonders indisch gefühlt“ heißt eine Folge. Noch nie in meinem Leben „…habe ich eine so große Lüge aufgetischt“, eine andere. Also eine Coming-of-Age-Serie, die von den ersten Malen auf komödiantische Weise erzählt und ein trotzdem ein paar sehr emotionale Szenen parat hat. Auffällig dabei: Der Cast ist durchgehend divers. Die eine Freundin von Devi ist Schwarz, die andere „Asian American“. Kontrahent Ben stammt aus einer jüdischen Familie und selbst Love Interest Paxton ist nicht weiß, sondern wie er sich selbst bezeichnet „halb Japaner“.

Also eine Teenie-Serie wie jede andere, nur halt mit BIPoC? Eine Formel, die Autor:innen einfach für ihre eigenen Stoffe übernehmen könnten? Lass uns die Szene genauer betrachten, deren zwei Repliken eingangs zitiert sind. Devi und Ben, ihr ewiger Konkurrent um die besten Noten, stehen vor ihren Spinds im Flur der High School. Wie immer provozieren sie sich gegenseitig. Als Ben sieht, wie Devi die Lippen mit einem Lippenstift nachzieht, merkt er an, sie solle nicht zu dick auftragen, weil sonst zu viel an ihrem Mustache hängen bliebe. Immerhin habe sie einen, kontert Devi. Daraufhin beginnt Ben sich zu rechtfertigen, dass er auch einen bekomme, ganz bald.

Spätestens nach dieser Szene bin ich ganz bei Devi. Alte Erinnerungen kommen hoch. Denn auch wir Latinas – sowie die Inderinnen, Türkinnen und vielen anderen Frauen, deren Haare sehr dunkel sind – haben ein kleines Mustache-Problem! Haare sind für uns Segen und Fluch zugleich. Auf dem Kopf, lange, gewellt, verführerisch. Auf den Beinen und im Gesicht? Ein No go! Augenbrauen zupfen, Schminken zum Bedecken der Gesichtsbehaarung, Waxing – alles Teil des Alltags. Bei mir ging es unter Tränen mit 12 Jahren los.

Ich könnte ein langes Lied über Haare singen. Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es um Repräsentation. Vor der Kamera, klar finde ich klasse, dass „Never Have I Ever“ so divers besetzt ist. Doch möchte ich die Relevanz von Diversität hinter der Kamera betonen. Und zwar im Writer’s Room. Es heißt, Mindy Kaling hat sich sehr von ihrer eigenen Jugend inspirieren lassen. Und in der Tat frage ich mich: Wie viele Autor:innen mit heller Behaarung würden auf die Idee kommen, diesen Witz zu machen? Wie viele wissen, wie es ist, durch eine Welt zu gehen, in der Haare nicht im Gesicht sein dürfen, wenn der Mustache sowohl in der Sonne, als auch im Lichtspiel der Tanzfläche permanent glänzt? Natürlich können alle Autor:innen immer auf den sicheren Witz mit dem Pickel zurückgreifen. Dieser ist universell, wenn wir Teenie-Figuren erzählen. Aber die Kraft der Identifikation, wenn Devi und Ben ihre Schwerter kreuzen und sie samt Mustache empowert aus der Szene geht, ist für uns alle, die das Problem kennen, immens. Am Ende sind es diese kleinen Momente, die diese Serie so authentisch und sehenswert machen. Auch für Mädchen und Frauen ohne große Probleme mit Damenbärtchen.

„Never Have I Ever“ bekommt übrigens eine zweite Staffel, die im Frühjahr 2021 laufen soll. Ich freue mich schon jetzt!

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