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Utopisch erzählen

(c) Photographer: Elvin Boer / Producer: Storytellers Film & TV

In unseren Veranstaltungen, aber auch in Gesprächen mit Menschen aus der erzählenden Branche, kommt es oft bis immer an den Punkt des Schulterzuckens begleitet mit dem Satz: Ja, aber wie genau lässt es sich umsetzen, dieses vielfältige Erzählen. Unsere Antwort auf dieses Schulterzucken ist unser dramaturgisches Modell. Im Fokus steht hier das Begehren von Menschen aus unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppen, nicht diskriminiert zu werden.

Aber auch die bewusste Suche nach guten Beispielen lohnt sich immer. Ich bin dadurch im Herbst 2019 auf die Serie „Ninja Nanny“ gestoßen, die gerade im KiKA lief und auch in der Mediathek verfügbar war. Im Sommer 2020 wurde sie wiederholt. (Aktuell ist beim KiKA noch die Folgenübersicht online. Im Moment des Schreibens gibt es leider online nur einen Trailer im niederländischen Original oder auch ganze Folgen auf der Website von zapp, dem Kinderprogramm des niederländischen Senders NPO.)

„Ninja Nanny“ ist eine Produktion von Storytellers mit den Sendern Avrotros/Zapp aus den Niederlanden. Geschrieben und inszeniert wurden die 10×25 Minuten der ersten Staffel von Sia Hermanides und Alieke van Saarloos. Wir waren so begeistert von der Art des Erzählens, dass wir den Kontakt zum Team aufnahmen und im Winter 2020 zur Berlinale sogar Sia Hermanides in Berlin treffen konnten.

„Ninja Nanny“ ist ein besonderer Blick auf Superheld:innen. Hunter, ein Mädchen, frisch in der Pubertät, verliert ihr Gleichgewicht, als sie mit ihrer Mutter Denny, deren neuem Mann Stanley und dem kleinen Bruder New York ins noble-neureiche Gooidorp umziehen muss. Denny, die vor der Ehe mit Fußballstar Stanley an einer Imbissbude gearbeitet hat, findet sich mit einer kindlichen Neugierde im Luxus zurecht, genau wie Stanley. Hunter aber verzweifelt am Snobismus der Mitschüler:innen. Gleichzeitig wird sie auch noch mit Farah konfrontiert. Farah ist ein Kindermädchen. So gehöre sich das in Gooidorp, versichert ihr Stanley glücklich. Farah erweist sich allerdings als Glücksfall für Hunter. Denn sie weiß genau, wie Hunter sich fühlt und hilft ihr, sich selbst kennenzulernen und ihre Wut zu beherrschen, indem sie sie in Pencak Silat, eine indonesische Kampfkunst, einführt.

Erstaunlich bei dieser Serie ist, dass die Autor:innen Hunters Welt als eine unvollkommene Utopie erzählen. Zwar haben die Figuren in der Serie mit Fragen der sozialen Herkunft zu tun, auch Rassismus, die Kolonialgeschichte der Niederlande und Fluchtpolitik werden über die Konflikte der Figuren Teil der Geschichte, aber keine Figur wird außerhalb der Normalität durch ihr Gender und ihre sexuelle Identität erzählt. Das ist ein wunderbarer Kniff, der aus der Selbstverständlichkeit der eigenen Amsterdamer Realität der Autor:innen heraus erzählt wurde, wie Sia uns im Gespräch versicherte.

Um das zu untermalen, haben wir hier einige Szenen herausgesucht:

Schon am ersten Tag in der neuen Schule begrüßt der Lehrer die Klasse „Guten Morgen Jungen, Mädchen und LGBTQ plus.“ und niemand ist darüber verwundert. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Genau wie die Unisex-Schulklos, die ein wichtiger Besprechungsraum von Hunter und ihrem neuen Freund und Verbündeten Joaquim sind. Auch Hunter und Joaquim selbst brechen, und brechen gleichzeitig nicht mit dem Stereotyp in Bezug auf sexuelle Identität. Joaquim nutzt Lippenstift, Hunter zieht jedem Kleid den Kapuzenpulli vor. Joaquim verliebt sich in Hunter. Hunter aber in Christa. Das Problem in dieser Liebesgeschichte ist nicht, dass es sich um zwei Mädchen handelt. Vielmehr ist Christa anfangs Hunters Antagonistin. Zudem verliebt sie sich in die mysteriöse Superheldin, ohne zu wissen, dass die Ninja Hunter ist (siehe Titelbild ganz oben). Abseits vom Lehrer verkörpert die Affäre zwischen Bürgermeisterin und Polizistin auch in der Erwachsenenwelt diese Utopie. Es ist zwar ein Skandal in Gooidorp, aber nur weil es eben eine Affäre ist. Und nicht, weil es zwei Frauen sind.

In unserem Gespräch unterstreicht Sia aber auch, dass sie an anderer Stelle sehr viel bewusster gearbeitet hat. So beispielsweise in Bezug auf die Herkunft der Nanny. In der ursprünglichen Idee der Serie von Errol Nayci und Karen van Holst Pellekaan hatte die Nanny noch eine chinesische Herkunft. Doch mit dem Wissen um die unzureichend aufgearbeitete Kolonialgeschichte der Niederlande mit Indonesien, wollte Sia ein Zeichen setzen. Sie war sehr froh darüber, dass die Redaktionen der Sender hier mitgespielt haben, und dieses durchaus brisante Thema nicht gestrichen wurde. Mit Pencak Silat gab es auch die passende Kampfkunst und durch Recherche fanden die Autorinnen heraus, dass tatsächlich viele Kindermädchen in den Niederlanden aus Indonesien stammen.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie eine Mischung aus vielfältiger Perspektive, Sensibilität für Diversität und Recherche zu einem gelungenen Produkt führen können. Und wir können freudvoll aus erster Hand berichten: Die zweite Staffel wird Anfang Dezember 2020 abgedreht!

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